RNA aus dem All

18.12.2024

Das Molekül (Z)-1,2-Ethendiol wurde erst vor kurzem in der Molekülwolke G+0.693-0.027 im galaktischen Zentrum entdeckt. Es ist ein Vorläufer von Zucker, wie er in der RNA, in der Trägerin von Erbinformation, vorkommt und könnte Hinweise darauf liefern, wie das Leben auf der Erde mit Molekülen aus dem All entstanden sein könnte. SimTech-Doktorand Juan Carlos del Valle Morales untersucht, wie das Molekül im interstellaren Medium entstanden sein könnte.

Juan Carlos del Valle Morales beschäftigt sich mit Staub und Molekülen im interstellaren Medium. Das interstellare Medium ist die Materie und Strahlung, die sich zwischen den Sternen einer Galaxie befindet. Es ist viel leerer als das beste Vakuum, das der Mensch erzeugen kann, obwohl es ein Gemisch aus Gas und kleinen, festen Staubteilchen aus Silikaten, Eisen oder kohlenstoffhaltigem Material enthält, die von Eis bedeckt sein können. An diesen Staubkörnern ist der Astrochemiker besonders interessiert.

Nach einer Hypothese von Chyba und Sagan (1992)1 entstand das Leben auf der Erde aus Molekülen aus dem All, die von zahlreichen Kometen- und Asteroideneinschlägen vor etwa 3,85 Milliarden Jahre auf die Erde gebracht wurden. Moleküle können im interstellaren Medium miteinander reagieren. Dies geschieht oft auf der Oberfläche von Staubkörnern, wodurch sie komplexer werden. In einigen Fällen entstehen daraus die Bausteine unseres Lebens.

Der Barringer Meteoritenkrater in Arizona (USA).

Juan Carlos del Valle Morales erklärt, wie das passiert sein könnte: „Durch die Reaktionen können Moleküle größer werden. Strahlung kann einem Molekül zusätzlich Energie verleihen, so dass es sich von der Oberfläche löst oder sich sogar spaltet. Sobald die Moleküle frei im Raum schweben, können sie sich an ein anderes Objekt anheften und weiter reagieren. Manchmal werden sie angezogen und zu größeren Objekten wie Meteoriten verdichtet, die schließlich auf einem Planeten wie der Erde landen könnten. Auf diese Weise könnte das Leben auf unserem Planeten entstanden sein. Nach der Landung gibt es noch weitere Prozesse, aber das Leben auf der Erde kommt auf die eine oder andere Weise aus dem Weltraum.“

Das Molekül (Z)-1,2-Ethendiol könnte an so einem Ereignis beteiligt gewesen sein. Es ist eine organische Verbindung, die als Vorläufer für Zucker wie Ribose betrachtet wird. Ribose wiederum ist ein Bestandteil der RNA. „Einer der Beweise, dass Moleküle bereits im interstellaren Medium reagieren, sind RNA-Aminobasen, wie Uracil, die auf Asteroiden nachgewiesen wurden. Wir haben es also mit eigenen Augen gesehen“, erklärt Juan Carlos del Valle Morales.

Im Gegensatz dazu stammen die meisten Daten über die chemische Zusammensetzung des interstellaren Mediums hauptsächlich aus Beobachtungen mit Radiointerferometern. Diese bestehen aus vielen einzelnen Teleskopen, mit denen man die Signale aus dem Weltraum sehen kann. „Sie zeichnen die spektralen Eigenschaften astronomischer Objekte auf, analysieren sie und vergleichen sie mit Experimenten, die auf der Erde durchgeführt wurden. Daraus können wir Moleküle identifizieren, ihre Häufigkeit quantifizieren und sogar auf physikalische Eigenschaften der untersuchten Region schließen“, so del Valle Morales. „Wir versuchen dann zu konstruieren, wie sie entstanden sind.“ 

HCO als Vater komplexerer Moleküle

Ein Staubkorn im interstellaren Medium, hier aus Silikat (brauner Kern), umhüllt von einer Eisschicht (blau).

In seinem Promotionsprojekt simulierte der Wissenschaftler, wie das Molekül (Z)-1,2-Ethendiol unter den extremen Bedingungen im Interstellaren Medium auf der Oberfläche von Staubkörnern entstanden sein könnte. Dazu untersucht er zunächst, wie sich das Molekül HCO gebildet haben könnte - das Produkt der Reaktion von Kohlenmonoxid (CO) mit Wasserstoff (H). „Wir wissen, dass dieses Molekül der Vater vieler komplexer Moleküle ist, die wir im Weltraum haben“, so del Valle Morales. HCO ist eine der vielen Zuckervorläuferverbindungen, ein sehr reaktives Radikal, das mehrere Moleküle bilden kann. Deshalb könnten solche Prozesse erklären, wie einfache Moleküle in interstellaren Wolken zu komplexen organischen Molekülen werden.

Die Reaktionen im interstellaren Medium können entweder in Gaswolken oder auf Oberflächen von Staubkörnern stattfinden. Bei Temperaturen von bis zu minus 270 Grad Celsius sind die Staubkörner von einer Eisschicht umhüllt. „In diesem Temperaturbereich und in einem fast totalen Vakuum finden Reaktionen trotzdem statt, wenn auch anders als auf der Erde“, erklärt Juan Carlos del Valle Morales. Er erforscht die Vorgänge bei der Hydrierung von Kohlenmonoxid, einem sehr einfachen Molekül mit nur zwei Bestandteilen, das im Interstellaren Medium reichlich vorhanden ist und in Form von Eis vorkommt. 

Simulation der Bildung von HCO mit maschinellem Lernen

Um das Verhalten der Moleküle zu simulieren, verwendet er Ansätze aus der Datenwissenschaft: Methoden wie maschinelles Lernen und atomistische neuronale Netze. „Damit versuchen wir herauszufinden, was während der Hydrierung passiert. In unserem Experiment am Computer rekonstruieren wir die kristalline Struktur von CO und geben den Wasserstoff hinzu. In der Simulation wurde dann das HCO-Molekül gebildet“, erklärt del Valle Morales. Dafür hat er eine Menge Daten aus quantenchemischen Berechnungen gebraucht, zum Beispiel Energieeigenschaften und Kräfte aus kleineren Modellen. Mit Hilfe der Methoden des maschinellen Lernens war es möglich, sehr viele Berechnungen mit diesen Daten durchzuführen, zum Beispiel mit tausend Atomen. „Mit der üblichen Quantenchemie wäre das undenkbar“, so der Wissenschaftler.

Bei der Simulation der Bildung von (Z)-1,2-Ethendiol auf Eisoberflächen machten die Wissenschaftler*innen eine weitere interessante Beobachtung in Bezug auf Isomere. Isomere sind Moleküle mit denselben Atomen, aber in unterschiedlicher Anordnung. Das bedeutet, dass man mit denselben Atomen unterschiedliche Moleküle erhalten kann. So kann es sein, dass ein Sauerstoff auf der linken Seite einer Kohlenstoff-Doppelbindung liegt und das andere auf der rechten Seite, oder sie sind beide auf der gleichen Seite. Solche Moleküle sind zwar ähnlich, aber nicht gleich. „In diesem Projekt konnten wir herausfinden, wie sie entstanden sind. Das hängt mit der Oberfläche zusammen. Je nachdem, wie das Molekül auf die Oberfläche des Staubkorns kam, konnten wir nur das eine Isomer, das andere oder beide gleichzeitig erhalten“, erklärt del Valle Morales. 

Das Licht des Wissens: Balkenspiralgalaxie in der Nähe der Großen Magellanschen Wolke, etwa 35 Millionen Lichtjahren von der Erde entfernt. Die Lichter geben Aufschluss über viele verschiedene astrophysikalische Prozesse in der Galaxie.

Herauszufinden, welche Prozesse auf der Oberfläche ablaufen war ein Teilziel seines Projekts. Doch es gibt noch viel zu erforschen. Dazu Juan Carlos del Valle Morales. „Der Ursprung des Lebens ist ein äußerst komplexes Problem. Wahrscheinlich handelt es sich um Moleküle, die über Millionen von Jahren und unter verschiedenen Bedingungen im Weltraum entstanden sind. Die Evolution ist ein fortdauernder Prozess. Es wird beispielsweise angenommen, dass RNA-Moleküle zur gleichen Zeit die genetischen und metabolischen Funktionen erfüllten, die heute von der DNA bzw. den Proteinen ausgeführt werden. Das Problem ist also viel komplexer, als wir denken.“

Manuela Mild | SimTech Science Communication

1Chyba, C., Sagan, C. Endogenous production, exogenous delivery and impact-shock synthesis of organic molecules: an inventory for the origins of life. Nature 355, 125–132 (1992). https://doi.org/10.1038/355125a0

Zum Weiterlesen

Del Valle, J. C., Redondo, P., Kästner, J., & Molpeceres, G. “Formation of the Interstellar Sugar Precursor, (Z)-1,2-Ethenediol, through Radical Reactions on Dust Grains.” Astrophys. J. 974, 129 (2024). http://dx.doi.org/10.3847/1538-4357/ad6f9a

Über den Wissenschaftler

Juan Carlos del Valle Morales stammt aus Spanien und hat an der Universität von Valladolid Theoretische Chemie und Computergestützte Modellierung studiert. Für seine Masterarbeit, in der er die Bildung des Moleküls (Z)-1,2-Ethenediol in der Gasphase untersuchte, wurde er mit dem “Extraordinary End of Career Award” der Universität von Valladolid ausgezeichnet. Momentan promoviert er in Theoretischer Chemie bei Prof. Dr. Johannes Kästner im SimTech Projekt PN3-4 an der Universität Stuttgart. Neben Spanisch spricht er noch vier weitere Sprachen: Chinesisch, Deutsch, Englisch und Französisch. Durch die Auseinandersetzung mit der Astrochemie werde ihm jedes Mal bewusst, wie klein und unbedeutend die Menschen sind und er findet es manchmal seltsam, mit so unterschiedlichen Größenordnungen zu arbeiten wie mit extrem kleinen Atomen auf der einen Seite und Millionen von Jahren auf der anderen Seite.

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