OpenFOAMGPT: Der erste KI-Ingenieur der Welt

02.06.2025

Ein SimTech Wissenschaftler hat ein System aus KI-Agenten entwickelt, das selbständig komplexe Aufgabenstellungen im Bereich der Strömungsmechanik löst und simuliert. Erste Experimente zeigen, dass der KI-Ingenieur zuverlässig ist wie ein schwäbischer Ingenieur. Und damit nicht genug: Die künstliche Intelligenz schreibt dazu auch wissenschaftliche Artikel, ohne dass ein Mensch eingreifen muss.

Man nehme ein Large Language Model (LLM), ein großes Sprachmodell, das Texte generieren kann und eine Software für die numerische Strömungsmechanik, verbinde beides auf einer Plattform und heraus kommt ein Ingenieur mit künstlicher Intelligenz, der automatisch ein Problem löst. Klingt unglaubwürdig? Ist es aber nicht. Einer Gruppe von Wissenschaftler*innen des Exzellenzclusters SimTech und der Fakultät für Luft- und Raumfahrttechnik und Geodäsie ist es in einem gemeinsamen Projekt gelungen, den weltweit ersten KI-Ingenieur zu schaffen, der schnell und zuverlässig arbeitet.

Ein KI-Agent ist ein Software-System, das verschiedene Aufgaben automatisch lösen kann. Es kann logisch „Denken“, lernen, planen oder Entscheidungen treffen und viele Informationen aus Texten, Videos oder Bildern gleichzeitig verarbeiten.  

„Unser KI-Ingenieur ist sehr gründlich und zuverlässig, wie ein schwäbischer Ingenieur“, sagt Privatdozent Dr.-Ing. Xu Chu, der seit rund 20 Jahren im „Ländle“ lebt und die Mentalität deshalb gut kennt. Er ist mit seinem Team der Urheber des KI-Ingenieurs. OpenFOAMGPT, so dessen Name, basiert auf einem Multi-Agenten-System und dem freien Softwarepaket OpenFOAM, mit dem Strömungsprobleme simuliert werden können. Das Multi-Agenten-System besteht aus mehrere KI-Agenten, die zusammenarbeiten und sich ergänzen, um komplizierte Aufgaben zu lösen. 

Vier KI-Agenten arbeiten effektiv zusammen

Insgesamt vier Agenten teilen sich beim KI-Ingenieur die Aufgaben: Die Vorarbeit (Preprocessing), die Prompt-Erstellung, die Simulation und die Nacharbeit (Postprocessing). Der Vorarbeiter-Agent kann Anfragen von großen Sprachmodellen verstehen und analysieren. Er kann zum Beispiel automatisch Variablen identifizieren, die zur Lösung der Aufgabe erforderlich sind und versteht, ob es sich bei der Anfrage um einfache oder komplexe Geometrien handelt. Der Prompt-Ersteller konstruiert Simulationsanweisungen, die genau auf die jeweilige Aufgabenstellung zugeschnitten sind.

Das Herzstück des Systems ist das freie Softwarepaket OpenFOAM, das die Simulationen durchführt. OpenFOAMGPT erzeugt aus den Prompts automatisch die Konfiguration der Simulation, indem es die Anforderungen aus der Aufgabenstellung berücksichtigt. Die Simulation wird automatisch gestartet. Falls sie aufgrund einer fehlerhaften Konfiguration scheitert, wird das Fehlerprotokoll strukturiert aufbereitet und zusammen mit dem ursprünglichen Prompt dem LLM erneut übergeben. Dadurch entsteht ein Rückkopplungsprozess, in dem Konfigurationsdateien intelligent verbessert werden, bis eine erfolgreiche Simulation erreicht ist. Der Nacharbeit-Agent analysiert die Simulationsergebnisse, erstellt Vergleichsdiagramme und Schaubilder.

Das Design eines Multi-Agenten-Frameworks

Vier Agenten teilen sich beim KI-Ingenieur die Aufgaben: Der Vorarbeiter (Preprocessing Agent) analysiert die Anfragen der Benutzer und leitet sie, je nach Komplexität, weiter. Der Promptersteller (Prompt Generate Agent) erstellt Anweisungen, die er in einen Prompt-Pool gibt. Der Agent OpenFOAMGPT, der Namensgeber des KI-Ingenieurs, interpretiert die Prompts, erzeugt automatisch die Konfiguration der Simulation und startet sie. Und der Nacharbeit-Agent (Postprocessing Agent) analysiert die Simulationsergebnisse, erstellt Vergleichsdiagramme und Schaubilder.

Mit Experimenten die Zuverlässigkeit getestet

Um die Zuverlässigkeit des KI-Ingenieurs zu überprüfen, haben die Wissenschaftler*innen verschiedene Experimente durchgeführt. Sie wählten fünf Fallstudien aus, die ein breites Spektrum an Aufgaben der numerischen Strömungsmechanik abdecken. Das reichte von einem klassischen Beispiel, das die Strömung einer viskosen Flüssigkeit durch einen geraden Kanal unter einem Druckgefälle beschreibt über eine mehrphasige Strömung in porösen Medien, wie sie bei Drainagevorgängen zum Beispiel in der Erdöltechnik vorkommt, bis hin zur Simulation von turbulenten Strömungen in der Aerodynamik eines Motorrads bei verschiedenen Geschwindigkeiten.

Wir werden Zugang zu unbegrenzten intellektuellen Ressourcen haben.

Priv.-Doz. Dr.-Ing. Xu Chu

Da die Reproduzierbarkeit ein Gradmesser für die Zuverlässigkeit ist, wurden die Simulationen teilweise bis zu hundertmal durchgeführt und jedes Mal war das Ergebnis gleich. „Das hat uns selbst überrascht und auch ein bisschen erschreckt“, erzählt Xu Chu. „Wenn ich beispielweise ein Bild von mir in ChatGPT hochlade und zehnmal frage, ob ich gut darauf aussehe, erhalte ich zehn verschiedene Antworten. Das geht bei Ingenieursfragestellungen natürlich nicht“, sagt er. „Meine Doktorand*innen und ich konnten so manche Nacht nicht mehr gut schlafen, weil wir gesehen haben, was es bedeutet, wenn das System so zuverlässig arbeitet.“

Wir haben unseren eigenen Ersatz gefunden.

Priv.-Doz. Dr.-Ing. Xu Chu

Das könne eine Revolution werden, Intelligenz würde damit zu einem günstigen Gut werden, meint Xu Chu weiter. Was das für seine Kolleg*innen und Ingenieur*innen bedeuten würde, möchte er sich gar nicht ausmalen. „Wir haben unseren eigenen Ersatz gefunden“, sagt er. So wie Xu Chu und sein Team das LLM gelehrt haben, OpenFOAM zu benutzen und seinen Job zu machen, so könnte man das auch auf andere Fachgebiete als die Strömungsmechanik anwenden.  

OpenFOAMGPT analysiert und erstellt Schaubilder

Gezeigt werden Mehrphasenströmungen (Drainage) in porösen Medien. Alle Abbildungen wurden automatisch von OpenFOAMGPT generiert.

Turbulence.ai, der erste KI-Wissenschaftler in der Strömungsmechanik

Xu Chu ist noch einen Schritt weiter gegangen und hat zusätzliche Agenten integriert, die wissenschaftliche Bücher und Publikationen „lesen“, neue Forschungsideen entwickeln, die die Ergebnisse von OpenFOAMGPT analysieren und anschließend wissenschaftliche Manuskripte verfassen. Er nennt das System Turbulence.ai, es ist der weltweit erste KI-Wissenschaftler im Bereich der Strömungsmechanik. Turbulence.ai forscht völlig autonom und veröffentlicht Fachartikel in hoher Qualität.

Er stellt Hypothesen auf und formuliert sie, plant Simulationen und prüft sie auf Neuigkeitsgehalt und Machbarkeit, korrigiert Fehler, bereitet die Ergebnisse visuell auf und schreibt schließlich einen vollständigen wissenschaftlichen Artikel, ohne dass ein Mensch eingreifen muss. Das erste Manuskript über zweiphasige Verdrängungsprozesse in porösen Medien ist bereits fertig.

Der KI-Ingenieur und der KI-Wissenschaftler können eine unendliche Bereicherung für die Wissenschaft sein.

Priv.-Doz. Dr.-Ing. Xu Chu

Ob es irgendwo zum Peer Review eingereicht werden soll, darüber ist sich Xu Chu noch nicht ganz im Klaren. „Da ich selbst schon sehr viel veröffentlicht habe und auch als Reviewer Manuskripte begutachte, kann ich sagen, dass es keine Spitzenqualität hat, aber gut genug ist, es einzureichen und in einem überdurchschnittlichen Journal zu veröffentlichen“, erklärt Xu Chu. Da die Strömungsmechanik ein Forschungsfeld mit zahlreichen unbeantworteten Fragen ist, könnte der KI-Wissenschaftler die Wissenschaft damit unendlich bereichern. Xu Chu sieht sich als Ideengeber, der Forschende in der Strömungsmechanik wie auch in anderen Disziplinen inspirieren und ihnen neue Möglichkeiten eröffnen möchte. Für Kooperationen aus der Industrie sei er jedoch offen.

Manuela Mild | SimTech Science Communication

Xu Chu dankt den Teammitgliedern Jingsen Feng, Ran Xu, Yupeng Qi, Sandeep Pandey und Wenkang Wang ganz herzlich.

Zum Weiterlesen

Jingsen Feng, Ran Xu, & Xu Chu. (2025). OpenFOAMGPT 2.0: end-to-end, trustworthy automation for computational fluid dynamics. https://arxiv.org/abs/2504.19338v1

Feng, Jingsen & Qi, Yupeng & Xu, Ran & Pandey, Sandeep & Chu, Xu. (2025). turbulence.ai: an end-to-end AI Scientist for fluid mechanics, towards infinite discovery. DOI: 10.13140/RG.2.2.15044.95369.

Über den Wissenschaftler

Xu Chu stammt aus China und lebt seit rund 20 Jahren in Stuttgart. Er hat an der Tongji University in Shanghai ein Bachelorstudium in Fahrzeugtechnik absolviert. Da er unbedingt in Deutschland den Dipl.-Ing.-Titel erwerben wollte, der für hohe Qualität und Zuverlässigkeit steht, studierte er an der Universität Stuttgart Fahrzeugtechnik. Anschließend strebte er den Dr.-Ing.-Titel an und promovierte im Bereich Maschinenbau und Energietechnik, ebenfalls an der Universität Stuttgart. Er forschte im DISS Projekt, als Juniorgruppenleiter am Institut für Aerospace Thermodynamics und als Habilitand bei SimTech im Projektnetzwerk PN1. Seit Mai 2024 ist er Senior Lecturer an der Universität Exeter in England und habilitierte sich im Januar 2025 an der Universität Stuttgart. 

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