„Poröse Medien sind Materialien, die Löcher haben, die miteinander verbunden sind. So können Flüssigkeiten oder Gase wie zum Beispiel Wasser oder Luft, durch poröse Medien transportiert werden“, definiert Holger Steeb, Professor für Mechanik an der Universität Stuttgart, den Begriff poröse Medien, mit denen er sich in seiner Forschung beschäftigt. Er und Mitarbeitende seines Teams – Samaneh Vahid Dastjerdi und Matthias Ruf – untersuchen die Eigenschaften poröser Medien, die Ingenieur*innen oder Geowissenschaftler*innen benötigen, wenn großskalige Projekte geplant werden, zum Beispiel ein unterirdisches Reservoir in einer Gesteinsformation, um CO2 oder Wasserstoff zu speichern.
So ein Reservoir kann eine Ausdehnung von mehreren hundert bis mehreren tausend Metern haben und befindet sich üblicherweise in 500 Metern bis fünf Kilometern Tiefe. Um das Verhalten der eingelagerten Stoffe mit dem umgebenden porösen Gestein beschreiben zu können, untersuchen die Wissenschaftler*innen nicht die Materialeigenschaften des gesamten Gesteinsreservoirs – was auch kaum möglich ist – sondern sie verwenden repräsentative Gesteinsproben.
Das Porous Media Lab (PML) ist eine experimentelle Plattform, das Forschende der Universität Stuttgart und Gastwissenschaftler*innen nutzen können, die an der Charakterisierung der gekoppelten elektro-thermo-hydro-chemo-mechanischen Eigenschaften von porösen Materialien interessiert sind. Die Daten, die aus dem PML gewonnen werden, werden anschließend auf DaRUS, dem Datenrepositorium der Universität Stuttgart, frei zugänglich veröffentlicht.
Diese stammen aus Steinbrüchen oder werden aus Bohrlöchern aus der Tiefe geborgen und haben typischerweise eine Größe von mehreren Millimetern bis zu mehreren Zentimetern. „Wir schauen uns dann mit einem Röntgen-Mikroskop zum Beispiel die Strömungsprozesse in den Gesteinsporen an und versuchen daraus zu lernen, welche physikalischen Phänomene für den Strömungsprozess relevant sind, um anschließend den Porenraum auf der Skala des Reservoirs mit geeigneten Modellen beschreiben zu können“, so Steeb.
Die Gesteinsproben können beispielweise sehr kleine Risse enthalten, also Öffnungen im Bereich von wenigen Mikrometern. Werden diese Proben dann mechanisch belastet, deformieren sich die Risse und das Materialverhalten ändert sich. Abhängig von der Belastungsart und -richtung können die Risse sich öffnen oder schließen und damit werden die Gesteinsproben effektiv weicher oder steifer. „Und das bedeutet für uns, dass diese kleinskaligen Risse auf der Mikrometer-Skala das effektive Materialverhalten auch auf der Kilometerskala beeinflussen können“, erklärt Holger Steeb.
Mikrofluidik für zweidimensionale Untersuchungen
Diese und weitere kleinskalige Phänomene untersuchen die Wissenschaftler*innen im Porous Media Lab an der Universität Stuttgart. Um grundlegende Eigenschaften von porösen Medien und das Strömungsverhalten von Fluiden, wie verschiedene Flüssigkeiten oder Gase, im Porenraum dieser Materialien zu untersuchen, werden Mikrofluidik-Untersuchungen durchgeführt. Hierfür kommen optisch-transparente Mikrofluidik-Modelle zum Einsatz, die Porenstrukturen nachahmen. Aufgrund der Transparenz dieser Modelle kann mittels klassischer Lichtmikroskopie direkt beobachtet werden, wie sich Fluide in der quasi-2D Porenstruktur ausbreiten.
Mit hochauflösender Röntgen-Computertomographie langsame dreidimensionale Prozesse im Gesteinsinneren sichtbar machen
Für dreidimensionale Untersuchungen hat Postdoktorand Matthias Ruf mit einem ehemaligen Kollegen einen modularen hochauflösenden Röntgen-Computertomographen, kurz: ein μXRCT-System, entwickelt und im PML aufgebaut. „Mit dem hochauflösenden System können wir das Innere der Bohrkerne – die Poren und das umgebende Gestein – sichtbar machen, mit einer räumlichen Auflösung von bis zu weniger als zehn Mikrometer“, sagt Matthias Ruf. Zehn Mikrometer (μm) sind 0,01 mm.
Sandstein kommt zum Beispiel oft als sedimentäres Speichergestein in geothermalen Reservoiren vor. „Der Porenraum von einem Sandstein enthält Poren in der Größe von etwa zehn bis vielleicht 100 Mikrometer, also 0,01 bis 0,1 Millimeter. Und das sind Größen, die kann man mit hinreichender Präzision nur noch mit hochauflösenden Röntgen-Computertomographen beobachten kann“, erklärt Holger Steeb. Er und sein Team haben das µXRCT-System seit dem Jahr 2015 entwickelt und aufgebaut, da es zu dem Zeitpunkt keine Geräte auf dem Markt gab, mit denen man während des eigentlichen Scan-Vorgangs auch „in-situ“ Experimente durchführen konnte.
„Eines unserer Ziele war, dass wir von diesen Materialien nicht nur das Innere anschauen, sondern auch physikalische Strömungsexperimente beispielsweise von Mehrphasenströmungen unter den Randbedingungen durchführen können, wie man sie auch in der Geothermie findet,“, sagt Holger Steeb. Das bedeutet Temperaturen bis zu 100 Grad und sehr hohe Umgebungsspannungen und Flüssigkeitsdrücke von bis zu 50 MPa (Megapascal), die in der Tiefe auf das Gestein einwirken. Diese Bedingungen werden im Labor in speziellen Hochdruck-Triaxialzellen nachgestellt „Das sind dann Manteldrücke von bis zu 50 MPa. Die Hochdruck-Triaxialzellen sind röntgentransparent, das heißt, sie lassen die Röntgenstrahlen bis zur Probe durch. So können sich die Wissenschaftler*innen ein Abbild davon machen, was tatsächlich vor Ort in einem Reservoir passiert.
Mit den µXRCT-Aufnahmen erhalten sie ein dreidimensionales Abbild der Mikrostruktur des Gesteins. „Aber wir können noch mehr machen. Wir können die dreidimensionalen Datensätze nicht nur auswerten und die Bilder anschauen, sondern wir können diese Informationen auch verwenden, um numerische Simulationen direkt auf den Bilddaten durchzuführen, zum Beispiel Mehrphasen-Strömungssimulationen, mit denen wir sehen können, was beim realen Gestein in den Poren auch unter Randbedingungen, die experimentell nicht erfasst werden können, passiert“, erklärt Holger Steeb.
Eine Reise durch den Stein von oben nach unten: Dreidimensionales Abbild der Mikrostruktur von gebrochenem Sandstein.
Teilchenbeschleuniger für schnelle dreidimensionale Prozesse
Handelt es sich nun aber um Strömungs- und Transportprozesse, die schnell ablaufen, sogenannte transiente Prozesse, braucht es eine andere Methode, diese 3D-bildgebend zu erfassen. „Wenn wir an einem Zweiphasenströmungsprozess interessiert sind, zum Beispiel wenn wir wissen wollen wie Wasser Öl im Porenraum verdrängt, dann ist das ein transienter, zeitabhängiger Vorgang“ so Steeb. „Das muss man sich vorstellen wie einen Film. Und diese Filme, die wollen wir ebenfalls dreidimensional herstellen.“ Für die Aufnahme dieser schnellen Prozesse benötigt man spezielle Röntgenstrahlung, sogenannte Synchrotronstrahlung.
Transiente Prozesse sind Phänomene, die sehr schnell ablaufen und nur gelegentlich und unregelmäßig auftreten.
Ein Synchrotron ist ein Teilchenbeschleuniger, der Röntgenstrahlung mit einer sehr hohen Leistung und Brillanz erzeugt. „Das bedeutet, dass man für einen Scan, der im Porous Media Lab teils mehrere Stunden dauern würde, dort nur wenige Sekunden benötigt“, sagt Matthias Ruf. „Die 3D-Bildgebung im Synchrotron ist dabei um ein Vielfaches schneller. Somit können wir auch schnellere Vorgänge visualisieren und beobachten.“
Diese Teilchenbeschleuniger findet man nur in Großforschungseinrichtungen wie dem Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY in Hamburg, der Diamond Light Source in Großbritannien oder der Swiss Light Source am Paul Scherrer Institut in Villigen in der Schweiz. An diesen internationalen Großforschungseinrichtungen kann man als Wissenschaftler Strahlzeit beantragen und sein Projekt nach positiver Bewilligung durchführen. Die Stuttgarter Wissenschaftler*innen sind schon öfter im Team hingereist, das komplette experimentelle Setup wie Proben und Triaxialzellen im Gepäck, und haben in den Laboren dort vor Ort ihre Experimente durchgeführt.
Im Synchrotron werden Elektronen in einer ringförmigen Vakuumröhre fast auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt. „Durch die Ablenkung der Elektronen, um diese auf der Kreisbahn zu halten, entsteht Röntgenstrahlung, mit der man Proben und die darin ablaufenden Prozesse untersuchen kann“, erzählt Holger Steeb. So entsteht etwa jede Sekunde ein dreidimensionaler Datensatz. Die riesigen Datensätze, über Hunderte von Terrabytes, werden anschließend von den Wissenschaftler*innen ausgewertet.
Durchbruch im Verständnis komplexer Strömungs- und Transportphänomene
Und das erfordert natürlich auch spezielle numerische Methoden. „Wir sind sozusagen an der Schnittstelle zwischen Experiment, Modellierung und Simulation. Die Erkenntnisse, die wir durch unsere Experimente gewinnen, sowohl die bildgebenden als auch die klassischen physikalischen Resultate, fließen in die Modelle ein. Die Modelle werden dadurch besser und führen zu genaueren Prognosen“, sagt Holger Steeb. Diese Grundlagenforschung an porösen Medien ist in erster Linie für die Wissenschaftscommunity relevant, um Modelle zu verbessern.
Von Hysterese Effekten spricht man, wenn eine Wirkung nicht sofort, sondern verzögert eintritt und nicht nur von der Eingangsgröße, sondern auch vom Anfangszustand eines Systems abhängt.
„Mehrphasenströmungen in porösen Medien enthalten eine Vielzahl von Phänomenen, die nicht hinreichend verstanden sind, wie zum Beispiel die Durchmischung von zwei Fluidphasen oder Hysterese Effekte in zyklischen Verdrängungsprozessen. Das ist ein Defizit und hat entsprechende Auswirkungen auf die Qualität von Prognosen“, erklärt Holger Steeb. Mit den Daten, die aus Experimenten im Synchrotron hervorgingen, konnten die Wissenschaftler*innen um Holger Steeb einen Durchbruch im Verständnis komplexer Strömungs- und Transportphänomene in porösen Medien erzielen und Missverständnisse in Modellierungsansätzen aufdecken. Die Integration der Erkenntnisse aus den Experimenten in verbesserte mathematische Modelle führte zu genauen Simulationen.
Holger Steeb und sein Team profitieren bei Ihren Untersuchungen aber auch vom Umfeld an der Universität Stuttgart. „Stuttgart hat gerade im Bereich der porösen Medien international eine Sonderstellung. Wir haben ein sehr starkes und sehr großes Forschungsumfeld: Es gibt nicht viele Standorte weltweit, wo so viele Wissenschaftlerinnen und in diesem relativ speziellen Bereich arbeiten“, sagt Holger Steeb. Zudem seien sie aus ganz unterschiedlichen Fachdisziplinen. „Wir haben zum Beispiel die Besonderheit, dass Mathematiker mit Physikern und Ingenieuren eng zusammenarbeiten, wie zum Beispiel im Sonderforschungsbereich SFB 1313. Die werden wiederum unterstützt durch Informatiker, die mit speziellen Visualisierungsmethoden Phänomene sichtbar machen können, die man normalerweise nicht so einfach sieht. Also das ist eine Stuttgarter Besonderheit.“
Manuela Mild | SimTech Science Communication
Zum Weiterlesen
Shokri, J., Ruf, M., Lee, D., Mohammadrezaei, S., Steeb, H., & Niasar, V. (2024). Exploring carbonate rock dissolution dynamics and the influence of rock mineralogy in CO2 injection. Environmental Science & Technology, 58(6), 2728–2738. https://doi.org/10.1021/acs.est.3c06758
Taghizadeh, K., Ruf, M., Luding, S., & Steeb, H. (2023). X-ray 3D imaging-based microunderstanding of granular mixtures: Stiffness enhancement by adding small fractions of soft particles. Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), 120(26), e2219999120. https://doi.org/10.1073/pnas.2219999120
Vahid Dastjerdi, S., Karadimitriou, N. K., Hassanizadeh, S., & Steeb, H. (2023). Experimental evaluation of fluid connectivity in two-phase flow in porous media. Advances in Water Resources, 172, 104378. https://doi.org/10.1016/j.advwatres.2023.104378
Vahid Dastjerdi, S., Karadimitriou, N. K., Hassanizadeh, S., & Steeb, H. (2022). Experimental evaluation of fluid connectivity in two‐phase flow in porous media during drainage. Water Resources Research, 58(11), e2022WR033451. https://doi.org/10.1029/2022WR033451
Chen, Y., Steeb, H., Erfani, H., Karadimitriou, N. K., Walczak, M. S., Ruf, M., Lee, D., An, S., Hasan, S., Connolley, T., Vo, N. T., & Niasar, V. (2021.) Nonuniqueness of hydrodynamic dispersion revealed using fast 4D synchrotron x-ray imaging. Science Advances, 7(52), eabj0960. https://doi.org/10.1126/sciadv.abj0960
Hasan, S., Niasar, V., Karadimitriou, N. K., Godinho, J. R. A., Vo, Nghia T., An, S., Rabbani, A., & Steeb, H. (2020). Direct characterization of solute transport in unsaturated porous media using fast X-ray synchrotron microtomography. Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), 117(38), 23443-23449. https://doi.org/10.1073/pnas.2011716117
Über die Wissenschaftlerin und die Wissenschaftler
Samaneh Vahid Dastjerdi arbeitet als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Mechanik (MIB) an der Universität Stuttgart. Sie hat an der Isfahan University of Technology Civil Engineering studiert und an der Universität in Teheran einen Master of Business Administration sowie an der Universität Stuttgart einen Master in „Water Resources Engineering and Management“ erworben. Im Jahr 2024 hat sie am Institut für Mechanik bei Holger Steeb im SimTech Projekt 1-4 (II) (Link) promoviert. In ihrer Dissertation “Image-based characterization of multiphase flow in porous media” hat sie sich mit der Charakterisierung von Mehrphasenströmungen in porösen Strukturen mittels Mikrofluidik-Untersuchungen beschäftigt.
Matthias Ruf arbeitet als Postdoktorand im SFB 1313 an der Universität Stuttgart. Er hat einen Bachelor in Flugzeugbau und Wirtschaft und einen Master in Maschinebau. Im Jahr 2023 hat er am Institut für Mechanik (MIB) an der Universität Stuttgart bei Holger Steeb promoviert. Im Rahmen seiner Dissertation „Experimental multi-scale characterization using micro X-ray computed tomography“ hat er ein modulares, offenes μCT-System entwickelt, das für unterschiedlichste multiphysikalische, mehrskalige Fragestellungen eingesetzt werden kann und als offene experimentelle Plattform im Porous Media Lab dient.
Holger Steeb ist Professor am Institut für Mechanik (MIB) an der Universität Stuttgart. Zudem ist er Direktor des Stuttgarter Zentrums für Simulationswissenschaft (SC SimTech) und Sprecher des Sonderforschungsbereich (SFB) 1313 „Grenzflächengetriebene Mehrfeld-Prozesse in Porösen Medien – Strömung, Transport und Deformation“. Seine Forschungsschwerpunkte sind poröse Medien und funktionale Materialien. Das Porous Media Lab (PML) hat er im Jahr 2015 ins Leben gerufen, mit der Idee, ein „Shared-Lab“ zur Erforschung poröser Medien an der Universität Stuttgart aufzubauen. Neben dem Team von Holger Steeb nutzen zahlreiche weitere Wissenschaftler*innen aus anderen Instituten sowie Gäste aus dem In- und Ausland das PML für ihre eigene Forschung. Die Versuchsaufbauten entwerfen die jeweiligen Forschenden selbst, oft in Kooperation mit Holger Steeb und seinem Team. So entwickelt sich das PML stetig weiter und gewährleistet aktuellste Forschung.